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Berichte zu den Veranstaltungen

Ein persönlicher Bericht zum Luise-Greger-Matinee ("Ein Tag für die Literatur“) und zum Frühlingsfest der Bücherei

Im Wonnemonat Mai - am „Tag für die Literatur“ - bei herrlichem Sonnenschein in der Siedlung am Heilhaus in Rothenditmold auf mein E-Bike zu steigen, in Richtung Bücherei Kirchditmold zu radeln und beim Abbiegen in die Zentgrafenstraße vom Kirchditmolder Geißbock begrüßt zu werden, versetzt mich allein schon in gute Stimmung. Die literarisch-musikalische Matinee dort mit Briefen und Liedern von Luise Greger (1862– 1944) entpuppt sich dann aber zu einem ganz besonderen Highlight, und der Nachmittag mit vier weiteren musikalischen Darbietungen, kulinarischen Köstlichkeiten und lebendigen Begegnungen läßt ein Fest mit einer ganz besonderen Atmosphäre entstehen, das man so leicht in keiner anderen Stadt findet.

Zunächst führt der Wilhelmshöher Arzt Dr. Helmuth Greger authentisch in das Leben seiner berühmten Urgroßmutter ein: Luise Greger wird 1862 in Greifswald geboren, heiratet 1888 in Berlin den Arzt Ludwig Greger und siedelt mit ihm in 1894 nach Kassel über, wo sie zusammen mit ihrem Mann eine Kuranstalt gründet. Schon als Neunjährige singt sie vor der Zarin in St.Peterburg und wird später sehr bekannt durch Liedkompositionen im Stile eines Johannes Brahms, die sie sogar der deutschen Kaiserin widmet. Trotz ihrer Scheidung in 1911 kann sie sich ihre gesellschaftliche Anerkennung bewahren, und ihre Konzerte, bei denen sie sich selbst am Klavier begleitet, finden in ganz Deutschland große Anerkennung. In 1944 endet ihr Leben tragisch, denn Ende 1943 wird sie im Rahmen von Euthanasie-Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen ihren Willen von einer Art Seniorenresidenz in Hofgeismar in das Psychiatrische Krankenhaus Merxhausen eingeliefert und stirbt dort kurze Zeit später an gezielter Unterernährung.

Durch eine eher zufällige Begegnung des Urenkels Dr. Helmuth Greger mit Renate Matthei und Barbara Gabler (Furore-Verlag) wird Luise Greger's Werk wiederentdeckt, und es kommt zu zahlreichen posthumen Würdigungen, zunächst in den USA mit mehreren Women-in-Music-Festivals ihr zu Ehren auf Whidbay Island bei Seattle (USA) und dann auch in Kassel mit einem dreitägigen Internationalen Luise Greger Festival 2019, bei dem auch ihr Märchenspiel „Gänseliesel“ aufgeführt wird. Nach dem kurzen Vortrag wird das Leben von Luise Greger lebendig durch sehr persönliche Briefe, die sie an ihre elf Jahre ältere Schwester Agnes in Berlin schrieb und die von der Schauspielerin Valeska Weber so gefühlvoll und gekonnt vorgetragen werden, dass man meint, die Schreiberin selbst zu hören. Der Vortrag der Briefe wechselt sich mit Liedern ab, die von der S opranistin Anna Palupski innig dargeboten werden, wie gewohnt begleitet von Barbara Schmidt (Klavierschule Bearbeitungsstand: 17.05.2023 Seite 1 von 3 Baunatal). Dabei drängen sich die harmonischen, schönen Melodien von Luise Greger nicht in den Vordergrund, so dass auch die Texte von bekannten Dichtern wie Theodor Storm gut zur Geltung kommen.

Es ist berührend anzuschauen, wie Hans-Georg Greger, ebenfalls ein Urenkel von Luise Greger und Inhaber des gleichnamigen Biomarkt Greger in Wilhelmshöhe, ganz hinten sitzt, mit seiner jüngsten Enkelin, einer Tochter des Milky-Chance-Gitarristen Antonio Greger, auf dem Schoß und zwei weiteren Enkeltöchtern in Feenkostümen neben ihm, und die Kleine es den Erwachsenen nachmacht und mit Begeisterung in ihre kleinen Händchen klatscht.

Ein wenig wehmütig muss ich an meine eigenen drei Enkelsöhne im fernen Berlin denken, und es kommt mir der gar nicht so unrealistische Gedanke, dass ihr anderer Opa, der das Kindertheater Atze in Berlin-Wedding leitet, das „Gänseliesel“ als ein Märchenspiel im Land der Feen in sein Repertoire aufnehmen und damit auf einer seiner Deutschland-Tourneen auch nach Kassel kommen könnte.

Fast ist es ein wenig schade, dass die Matinee, passend zum Tucholsky-Zitat „Man kann über alles reden, aber nicht länger als 40 Minuten“, schon nach einer Dreiviertelstunde zu Ende geht.

Nach der Matinee beginnt das gesellige Beisammensein auf der Zentgrafenstraße vor der Bücherei. Dazu gibt es Bio-Würstchen „vom Greger“, und die gut organisierten Ehrenamtlichen der Bücherei, die als gemeinnütziger Verein organisiert ist, bieten gegen Spende ihre köstlichen selbstgebackenen Kuchen und Kaffee an. Beim Kuchenholen komme ich mit einer freundlichen älteren Dame namens Gerda ins Gespräch, die mir mit einem inneren Strahlen in ihren Augen „begrüßend“ begegnet und keine spirituelle Lehrerin braucht, um zu der einfachen, aber tiefen Erkenntnis zu kommen, dass jeder Mensch seine guten Seiten hat und es ratsam ist, auf diese zu schauen und die Auseinandersetzung mit seinen Fehlern dem Gegenüber selbst zu überlassen. Am Stand von foodsharing Kassel e.V. kann man sich mit Vollkornbrötchen für das Frühstück am nächsten Tag versorgen, und bekommt obendrein noch Schokoladen-Ostereier geschenkt.

Kein Wunder, dass es in dieser besonderen Atmosphäre in herrlichem Sonnenschein zu lebendigen Begegnungen und intensivem Austausch kommt. Ich freue mich, seit längerem mal wieder meine Singgruppen-Freundin Angelika an einem der Tische zu entdecken, und sogar unser volksnaher, dynamischer Oberbürgermeister Sven Schöller, der in Kirchditmold wohnt, kommt vorbeigeradelt und bringt sich in das Gespräch ein. Als passionierter Radfahrer freut er sich über das Fest in seinem Stadtteil, das von dem Verkehrsexperiment mit der vorübergehend gesperrten Durchgangstraße profitiert. Spontan bleibe ich den ganzen Nachmittag über bis zum Ende des Fests und radle mit dem Gefühl, von Leben reich beschenkt worden zu sein, wieder zurück nach Rothenditmold.

 

Im Vorfeld der Veranstaltung wurde ein Interview für den HR gegeben.

 

Teilnehmer: Helmuth Greger, Valseska Weber und Paul Greim. Das Interview kann hier heruntergeladen werden:

---> Interview

 

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